Augmented Reality in der Praxis – ein aktueller Überblick

In den letzten Jahren habe ich immer wieder über die Entwicklung von Augmented Reality berichtet, vom Grundprinzip der Technologie und den ersten Versuchen bis zu den ersten marktfähigen Anwendungen im Verlags- und Medienbereich. Mittlerweile hat sich Augmented Reality von einer Nischen-Technologie zu einer Lösung entwickelt, an der alle großen Digital-Anbieter arbeiten und die bereits jetzt in vielen Bereichen Einsatz findet. Und die Anwendungsszenarien kennen dabei kaum eine Grenze. Ein Überblick über die aktuelle Entwicklung des Jahres:

 

Was machen die großen Anbieter im Markt?

Im internationalen Markt wird aktuell intensiv an der Umsetzung von Lösungen mit Elementen von Augmented Reality, Virtual Reality und Mixed Reality gearbeitet. Die Unterschiede der drei Technologien verschwimmen dabei in der Praxis oft: es variiert vor allem Qualität und Integrationsgrad der Mischung von realer Umgebung und virtueller Projektion. Zum aktuellen Stand der Technologie-Entwicklung ist im Time Magazine ein guter Überblicksartikel erschienen.

Alle großen Technologie-Unternehmen haben mittlerweile umfangreiche Projekte in der Entwicklung:

  • Apple, lange Zeit eher zögerlich, hat dieses Jahr durch die Übernahme von Metaio aus München ein starkes Zugpferd in diesem Bereich und hat sein Portfolio ganz aktuell durch den Kauf von Faceshift ergänzt.
  • Auch Google hat sich mit Magic Leap ein Startup im AR-Bereich zugelegt, das mit seinen Vorab-Videos ausgesprochen neugierig macht. Zusätzlich wird im Projekt Aura an einem Nachfolger für die mehr oder weniger gescheiterte Google Glass gearbeitet.
  • Facebook arbeitet mit Oculus Rift intensiv an marktfähigen Lösungen. Hier steht Virtual Reality im Schwerpunkt der Entwicklung – aber von Gaming bis virtuellen Events liegen hier die Anwendungen auch relativ nahe. In der Gesamtstrategie von Facebook spielt dieser Bereich ein große Rolle.
  • Microsoft hat mit HoloLens eine eigene Hardware in der Entwicklung, von der bisher zwar nur einzelne Demos gezeigt wurden – diese sehen aber durchaus vielversprechend aus.
  • Alleine von Amazon hat man lange nichts mehr gehört: Seit der Integration der Firefly-Funktion in die Kindle-Fire-Tablets und -Smartphones ist hier nichts an Innovationen mehr bekannt geworden.

Wie Techcrunch in einem aktuellen Überblick zeigt, haben die großen Technologie-Unternehmen in den letzten 12 Monaten in diesem Bereich Investitionen in Milliardenhöhe getätigt – es wäre sehr verwunderlich, wenn sich daraus nicht in den nächsten 1-2 Jahren einige sehr spannende Produktinnovationen im Markt entwickeln würden.

 

Augmented Reality für Kindermedien

In der deutschen Verlagslandschaft haben sich neben einigen Anwendungen aus dem Zeitschriften-Bereich vor allem die Kinderbuch-Verlage dem Thema angekommen: Carlsen ist schon seit Mitte 2014 mit seiner LeYo-Reihe auf dem Markt. Ravensburger hat schon mit seinem Tiptoi-Projekt viel Erfahrung mit der Kombination von Hardware, Software und Content im Kindermedien-Bereich gesammelt. Aktuellste Produktneuerung ist hier „Space Hawk“: durch die Verbindung eines Spielzeug-Raumschiffs mit Print-Produkten und einer AR-App werden hier Science-Fiction-Inhalte in moderner Form ins Kinderzimmer gebracht.

Aber auch bei Oetingers TigerCreate bleibt die Entwicklung nicht stehen: unter dem Label „SuperBuch“ erhält das Authoring-Tool eine Funktion zur Anreicherung von Print- und Digitalprodukten mit Augmented Reality-Inhalten. Besonderen Charme hat hier die Möglichkeit, auch existierende Backlist-Print-Titel auf diese Weise neu aufzuwerten. Das Tool wurde auf der AKEP-Jahrestagung 2015 präsentiert:

 

 

Furore gemacht hat dieses Jahr auch Disney mit einer AR-App, die ein Malbuch virtuell erweitert – fertig ausgemalte Figuren aus dem Malbuch werden hier mit den Farben und Texturen des Originals in 3D über die App zum Leben erweckt. Ein im Grunde relativ einfacher Anwendungsfall, der live aber spektakulär aussieht:

 

 

Internationale Verlage und Medienhäuser

Auch international nehmen sich die Medienunternehmen des Themas an: Parallel zur Buchmesse in Frankfurt berichtet Publishing Perspektives über das indonesische AR-Startup Arco, das Print-Produkte mit anspruchsvollen Augmentierungen versieht – Referenz-Projekt ist hier ein virtuell angereicherte Bibel-Ausgabe.

Auch der New Yorker überraschte dieses Jahr mit einer Virtual Reality-App für die Samsung Gear. Doch obwohl der Use Case zunächst sehr beeindruckend aussieht, ist das Modell der medialen Umsetzung hier doch recht konventionell – im Grunde wird exakt der visuelle Eindruck des Blätterns in einer physischen Zeitschrift auf ein anders Medium übertragen. Aber urteilen Sie selbst:

 

 

Für News-orientierte Medien entwickeln sich offenbar die Google Cardboards zu einer Referenz-Plattform. Mit dieser einfachen Ergänzung für das Smartphone gibt es sozusagen das Virtual Reality-Gerät für den ganz kleinen Geldbeutel. Nieman Lab berichtet dazu über eine Reihe von Anwendungen bei News-Seiten, die mittlerweile Content für AR-/VR-Geräte  selbstverständlich in ihr Storytelling integrieren.

 

Gaming als Treiber der Entwicklung im Consumer-Bereich

Für neue Technologien erweist sich immer wieder auch die Spielebranche als Treiber, wo existierende Innovationen zur Reife für den Massenmarkt entwickelt werden. So auch bei Augmented Reality – schon länger sind junge Technologie-Startups wie ToyWheel hier mit wirklich schönen Ideen unterwegs. Aber zunehmend kommen hier auch die großen Player ins Spiel: Microsoft zum Beispiel hat als eine seiner Demos für die HoloLens gezeigt, wie ein Konsolenspiel der Zukunft sich direkt im heimischen Wohnzimmer anfühlen könnte. Das Ergebnis ist einigermaßen eindrücklich:

 

 

Und natürlich tut es solchen Entwicklungen auch immer gut, wenn große Marken und bekannte Figuren auf diese Weise umgesetzt werden: Nintendo plant für 2016 zusammen mit Niantic Labs eine Umsetzung der Pokemon-Spielwelt in eine AR-App für Android und iOS. Auch hier gibt es bisher nur erste Demos zu sehen, aber die lassen auf Spannendes hoffen:

 

 

Industrie, Konstruktion und Design

Natürlich bietet sich der Einsatz von Augmented Reality auch in vielen sehr ernsthaften Anwendungsgebieten an. Sehr naheliegend ist der Bereich Medizin: Die Firma Method zeigt mit ihrem Head-Up-Display Vivi, wie für Ärzte medizinische Daten in Echtzeit mit der Realität überblendet werden können. Und auch für die Microsoft HoloLens gibt es bereits eine Demo einer AR-gestützten Lernanwendung für Medizinstudenten.

Für alle Bereiche, die mit Konstruktion und Design zu tun haben, ist Echtzeit-Visualisierung von komplexen 3D-Modellen ebenfalls von hoher Bedeutung. Microsoft ist dazu aktuell eine Kooperation mit dem CAD-Anbieter AutoDesk eingegangen, um AR-Lösungen für Konstrukteure und Ingenieure zu entwickeln. Und auch für Architekten und Designer gibt es mittlerweile einige spannende Software-Lösungen – das Beispiel VisiDraft zeigt etwa, wie durch Überblendung von CAD-Modell und realem architektonischem Raum eine Art „3D-Prototyping“ realisiert werden kann:

 

 

Im Bereich Logistik und Lagerhaltung beschäftigt sich DHL schon seit 2014 mit den Einsatzmöglichkeiten von AR – und mittlerweile ist die Anwendung hier bis zur Tauglichkeit für den Alltagsbetrieb gereift, wie Mobile Zeitgeist jüngst berichtete.

 

Automobil-Industrie

Ganz vorne dabei in der Augmented Reality-Entwicklung war immer schon die Automobilbranche – kein Wunder, denn hier liegen viele sinnvolle Use Cases besonders nahe. Ein Anwendungsgebiet waren hier immer schon Produktvorstellungen und Bedien-Handbücher: Microsoft und Volvo kooperieren dazu für AR-Einsatz in den Showrooms der Zukunft. Hyundai ist dieses Jahr mit den ersten AR-gestützten Nutzerhandbüchern herausgekommen. Und auch Audi zeigt aktuell sein Konzept der AR-unterstützten Bedienerführung per Mobile App:

 

 

Bei VW dagegen werden AR-Anwendungen und Datenbrillen in der Lagerhaltung und Logistik eingesetzt. Und am vielleicht weitesten geht Land Rover mit der Technologie-Integration: In der jüngsten Produkt-Generation wird hier die ganze Windschutzscheibe eines Autos zum überdimensionalen Head-Up-Display, in das Navigations-Informationen und technische Daten eingeblendet werden.

 

 Zukunftsperspektiven für Augmented Reality

Wie die Beispiele zeigen, ist Augmented Reality in vielen Bereichen keine Zukunftsmusik mehr, sondern wird bereits praktisch und produktiv eingesetzt. Im Consumer-Bereich ist der nächste Entwicklungsschub aber dann zu erwarten, wenn die Hardware-Unterstützung noch deutlich besser wird: AR/VR-Brillen und Geräte müssten deutlich ausgereifter und billger sein. Auf Smartphones und Tablets müsste die AR-Funktionalität direkt in die Kamera-Apps integriert werden, damit ein separater App-Download nicht mehr nötig ist.

Ist dies einmal der Fall, braucht es wahrscheinlich nur noch wenige Referenz-Anwendungen, damit sich die Techologie im Massenmarkt durchsetzt.

Im professionellen Bereich ist die Entwicklung bereits deutlich weiter. In vielen Industriebranchen ist der AR-Einsatz bereits gelebte Realität. Und natürlich bestehen hier auch zunächst die größten Mehrwerte für den Einsatz dieser Technologie. Auch hier wird die Hardware-Entwicklung ein übriges tun: eine Kombination mit Highend-Tablets wie dem iPad Pro oder vergleichbaren Geräten könnte der Entwicklung hier noch einmal ungeahnte Dynamik verleihen.

Und nach aller Erfahrung mit neuen Technologien befruchten sich die Entwicklungen im professionellen Bereich und im Consumer-Markt oft gegenseitig. Schon die aktuellen Beispiele lassen hier für die Zukunft Spannendes vermuten.

 

Sie wollen mehr wissen?

Am 26.01.2016 findet im Programm der Akademie der deutschen Medien in München das Seminar “Augmented Reality – Print- und Digitalmedien virtuell erweitern” statt, bei dem in Form eines eintägigen Praxisworkshops Produktkonzepte für Augmented Reality-Produkte entwickelt werden – wenn Sie sich für das Thema interessieren, würde ich mich freuen, Sie dort zu treffen!

 

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