BPMN – das Schweizer Taschenmesser für die Geschäftsprozess-Modellierung

BPMN-TeaserpicIm Verlagsgeschäft gibt es verschiedene Anlässe, sich mit seinen eigenen Geschäftsprozessen auseinanderzusetzen: Prozesse sollen optimiert werden, weil sie zu lange dauern oder zu teuer sind. Die Reorganisation von Geschäftsfeldern zwingt Beteiligte zur Übergabe von Arbeitsaufgaben. Und nicht selten sind System-Einführungs-Projekte ein Auslöser für eine Prozess-Analyse – Workflow-Komponenten müssen konfiguriert werden, und dazu benötigen die Entwickler Input der Fachabteilungen. Das Problem, das nun entsteht, ist immer wieder dasselbe: Prozesse müssen auf strukturierte Weise erfasst und zwischen vielen verschiedenen Beteiligten mit unterschiedlichem Fachwissen ausgetauscht werden. Ein Tool zur Geschäftsprozess-Modellierung muss her!

 

BPMN? BPMN!

In dieser Situation kommt BPMN ins Spiel. BPMN steht für Business Process Model and Notation – ein Industriestandard zur Modellierung und Dokumentation von Arbeitsabläufen. BPMN wurde Anfang der Nuller-Jahre von einem IBM-Mitarbeiter entwickelt und ist seit 2004 durch die Object Management Group (OMG) standardisiert. Die Besonderheit von BPMN ist die Erfassung mit einer festgelegten graphischen Notation, die mit einem einheitlichen Symbolsatz alle wesentlichen Teile einer Prozess-Kette abbildet. Durch die visuelle Form der Darstellung muss der Anwender aber keine Spezial-„Sprache“ lernen, eine BPMN-Notation kann nach kurzer Einarbeitung von Mitarbeitern verschiedenster Fachbereiche erstellt und verstanden werden.

BPMN verfolgt damit das Ziel, über eine leicht erfassbare Dokumentationsform gemeinsames Prozess-Verständnis innerhalb einer Organisation zu gewährleisten und die Kommunikation zwischen Beteiligten und Fachbereichen zu erleichtern. Die hier erfassten Modelle sind in der Regel Fachprozesse, dennoch integriert der Standard alle Elemente, die auch zur Prozess-Automatisierung notwendig sind. Zentral ist dabei, dass BPMN zwar oft in der Software-Entwicklung verwendet wird, die Notation aber auch für Mitarbeiter außerhalb der Entwicklung verständlich ist. BPMN dient damit als gemeinsame Sprache einer Organisation, die zudem den Übergang vom fachlich formulierten Prozess in ein per Software ausführbares Modell unterstützt.

 

Der Aufbau einer BPMN-Notation: Wie werden Workflows erfasst?

BPMN verwendet fast ausschließlich graphische Symbole für die Notation von Prozessen. Dabei spielen folgende Elemente eine wesentliche Rolle:

  • Die an einem Prozess beteiligten Akteure (Personen, Abteilungen, Firmen etc.)
  • Aktivitäten und Ereignisse im Prozess sowie Entscheidungspunkte zwischen verschiedenen Wegen durch einen Prozess. Komplexe Aktivitäten werden zudem in Unter-Prozesse aufgeteilt.
  • Verknüpfungen für die logische und zeitliche Abfolge zwischen den Aktivitäten sowie für die Übergabe von Nachrichten zwischen Prozess-Beteiligten
  • Artefakte im Prozess wie z.B. Dokumente, eMails, Datensätze etc.
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Die wichtigsten BPMN-Elemente im Überblick

In diesem Beispiel, das die Bestellung eines Produktes in einem Online-Shop visualisiert, werden alle wesentlichen Elemente der Notation verwendet:

BPMN-Beispiel

Waren-Bestellung in einem Online-Shop: ein einfaches Beispiel für eine BPMN-Notation

 

Wie in diesem Beispiel deutlich wird, hat ein BPMN-Prozess immer einen klar definierten Startpunkt, kann aber mehrere Endpunkte besitzen. Beliebig viele Beteiligte können erfasst und gruppiert werden. Für die einzelnen Aufgaben gibt es verschiedene Typen – von einfachen Tätigkeiten über Nachrichten bis hin zu automatisierten Aufgaben. Besonders differenziert sind die verschiedenen Möglichkeiten für Prozess-Verzweigungen: neben den hier im Beispiele verwendeten Ja/Nein-Entscheidungen sind im Standard vielfältige andere Weichen möglich. Beim Prozess-Durchlauf kann zwischen der sequentiellen Abfolge von Aufgaben, Nachrichten-Flüssen und Daten-Flüssen unterschieden werden, je nach Sicht auf den Prozess. Wenn Sie sich für alle Möglichkeiten der Notation interessieren, finden Sie unter bit.ly/bpmn-poster eine Übersicht über alle zentralen Elemente des BPMN-Standards.

 

Übersichtlich bleiben: Weniger ist mehr

Wichtig ist für eine übersichtliche und verständliche Workflow-Notation: Ziel sind nicht raumfüllende „BPMN-Tapeten“, sondern eine klare Visualisierung, die auf einen Blick erfassbar ist. Komplexe Prozesse werden dafür konsequent in Teilprozesse zerlegt, die separat notiert und verknüpft werden. Dazu ist es meist sinnvoll, den Schwerpunkt auf eine bestimmte Perspektive des jeweiligen Prozesses zu legen. Im Beispiel der Online-Shop-Bestellung wurde der Fokus z.B. klar auf die kaufmännischen Prozesse und den Informationsfluss gelegt, während die Kundenkommunikation und die physischen Auslieferungs-Prozesse weitgehend außen vor bleiben – eine notwendige Priorisierung, wenn die Modelle verständlich bleiben sollen.

 

BPMN 2.0: Mit XML zur Interoperabilität von Prozess-Modellen

Hauptelement von BPMN 1.0, das bereits 2004 standardisiert wurde, waren die hier beispielhaft gezeigten normierten, aber zunächst rein graphischen Notationen für Geschäftsprozesse. Mit dem 2011 verabschiedeten BPMN 2.0 kommen zwei zentrale Aspekte hinzu: Die Semantik der Prozess-Objekte wurde stärker formalisiert, damit es möglich ist, die Ausführung von Prozess-Schritten anwendungsübergreifend zu automatisieren. Gleichzeitig wurde neben der graphischen Repräsentation auch ein XML-basiertes Speicherformat definiert, um den Datenaustausch zwischen verschiedenen Applikationen zu ermöglichen. Erst mit diesen Erweiterungen kann BPMN seine Mächtigkeit als Prozess-Modellierungstool voll ausspielen.

 

Die Werkzeuge: Tools für die BPMN-Notation

Software für die Erstellung von BPMN-Modellen gibt es aufgrund der bereits relativ langen Geschichte von BPMN mittlerweile wie Sand am Meer: von kostenlosen Open-Source-Tools bis zu Enterprise-Applikationen ist hier alles vertreten. Wer bereits mit Systemen wie Microsoft Visio oder LucidChart arbeitet, bekommt die Unterstützung für BPMN als Standard-Funktion der Programme quasi frei Haus. Für die verbreitete Entwicklungsumgebung Eclipse und die Projekt-Software Confluence stehen BPMN-Plugins zur Verfügung. Wer eher im Bereich XML-Prozesse unterwegs ist, sollte sich Altova UModel ansehen – das Modellierungstool ist unter anderem mit dem XML-Editor XML Spy integrierbar. Für einen umfassenden Marktüberblick steht unter bpmnmatrix.github.io ein Vergleich der Werkzeuge zur Verfügung.

Besonders interessant für den Einstieg in die Arbeit mit BPMN sind die Tools der Firma Camunda: Das Unternehmen bietet sowohl den kostenlos nutzbaren Camunda Modeler für das Erstellen von BPMN-Modellen, als auch eine Workflow-Engine, die über APIs in andere Applikationen integrierbar ist. Viele der aktuell im Markt verfügbaren Workflow-Systeme setzen auf der Camunda-Engine auf. Für einen schnellen Test steht unter bpmn.io auch ein webbasierter Editor zur Verfügung. Mit dem Camunda-Toolset ist ein relativ einfacher Einstieg in die Workflow-Notation möglich, die Werkzeuge können je nach Anforderungsprofil nahezu beliebig skaliert werden.

 

BPMN wird produktiv: Integration in CMS-Applikationen

Nun ist das Erfassen und Notieren von Prozessen immer das eine und das praktische Arbeiten danach das andere. Richtig spannend wird der Einsatz von BPMN daher erst dann, wenn die erstellten Modelle nicht einfach nur zur Prozess-Dokumentation genutzt, sondern auch zur Steuerung von Workflows in Applikationen eingesetzt werden können. In den letzten Jahren gab es dazu immer mehr Ansätze von Systemanbietern, die BPMN intern zur Steuerung ihrer Workflow-Komponenten verwenden: die Modelle dienen dabei quasi als graphische Bedienungsoberfläche, über die komplexe und sonst schwer verständliche Systemfunktionen konfiguriert werden können.

Ein schönes Beispiel dazu aus dem Verlagsbereich kommt vom CMS-Anbieter Sitefusion: In der aktuellen Version 5 seiner XML-Content-Management-Suite integriert Sitefusion die BPMN-Engine von Camunda zur Konfiguration der CMS-Prozesse und bietet so eine intuitive Oberfläche für die Workflow-Steuerung. Geschäftsführer Mario Kandler hat dazu zusammen mit Tobias Ott von Pagina einen vielbeachteten Vortrag auf dem Crossmedia-Forum 2017 gehalten; dazu ist das begleitende Interview überaus lesenswert.

Aber auch in anderen CMS-Applikationen macht eine BPMN-Integration durchaus Sinn, wenn Prozesse strukturiert erfasst und in die Systemkonfiguration übernommen werden sollen: Beispielsweise verwendet das Open-Source-CMS Magnolia ebenfalls eine BPMN-Engine für die Workflow-Steuerung. Und auch für das weit verbreitete Web-CMS Drupal existieren Projekte für die Integration von BPMN-Tools.

Die Steuerung von komplexen Systemen wie CMS-, ERP- oder PIM-Applikationen über BPMN ist deswegen so interessant, weil es bei Projekten zur Einführung spätestens beim Thema Workflows typischerweise zu einem „Übersetzungsproblem“ zwischen Fachabteilungen und Software-Entwicklern kommt: Typischerweise gehört die Workflow-Steuerung mit zu den komplexesten System-Komponenten, gleichzeitig ist eine passgenaue Konfiguration auf die Bedürfnisse der Fachanwender einer der kritischsten Faktoren für die Akzeptanz des Systems. An dieser Stelle mit BPMN ein Werkzeug nutzen zu können, das eine klare und für jeden Mitarbeiter verständliche Notation von Prozessen ermöglicht, kann in einem Projekt viel Zeit und Nerven sparen.

 

Worauf sollte man achten, wenn man mit Workflows über BPMN erfasst?

Auch wenn die graphische Notation von BPMN zunächst sehr intuitiv ist, sind im Detail einige handwerkliche Fragen zu beachten, wenn man Prozesse auf diese Weise erfassen möchte:

  • Ziele der Workflow-Modellierung: Dient BPMN für Sie zunächst nur zur Dokumentation des Ist-Stands, oder sollen Optimierungen vorgenommen werden? Geht es um statische oder interaktiv ausführbare Prozess-Modelle? Je nachdem, welche Ziele Sie verfolgen, werden Sie bei der Modellierung anders vorgehen müssen.
  • Prioritäten für die Workflow-Sicht: Je nachdem, welche Perspektive Sie auf Ihre Prozesse haben, werden Sie Ihren Schwerpunkt auf verschiedene Aspekte der Notation legen. Spielen persönliche Verantwortlichkeiten die zentrale Rolle? Sollen Dokumente und Prozess-Artefakte im Zentrum der Dokumentation stehen? Oder werden vor allem softwaregestützte Prozesse abgebildet und es soll eine Systemsicht erstellt werden? Je nachdem, wo Ihre Prioritäten liegen, wird ihre Prozess-Abbildung unterschiedlichen Charakter erhalten.
  • Konventionen für Modellierung und Notation: BPMN ist ein umfangreicher Standard mit vielen Elementen, mit dem man denselben Prozess zudem auf unterschiedliche Arten notieren kann. Deswegen ist es sinnvoll, zunächst mit einfachen Prozessen zu beginnen und sich auf der Basis dieser Erfahrungen selbst Konventionen dafür zu geben, welche Notationselemente verwendet werden sollen (fast nie wird der komplette Standard genutzt) und wie verschiedene typische Konstellationen notiert werden sollen. Je nach Prioritäten und Perspektive kann z.B. ein und dasselbe Element sowohl als Aufgabe, als Ereignis oder als Verzweigung deklariert werden. Einheitliche Konventionen helfen bei solchen Entscheidungen – vor allem, wenn das Ergebnis der Prozess-Automatisierung dienen soll.
  • Entscheidung für ein zentrales Tool: Grundsätzlich ermöglicht die XML-basierte Speicherung einen Austausch von BPMN-Modellen zwischen verschiedenen Applikationen. Im Detail geht aber doch jede Software nochmal etwas anders mit bestimmten Teilen der Spezifikation um. Insbesondere bei automatisierter Ausführung der Modelle durch Workflow-Engines ist es entscheidend, eine klare Vorstellung der Funktionalität zu haben, die mit den jeweiligen Notationen einhergeht. Sinnvoll ist insofern, verschiedene Werkzeuge zu evaluieren, aber am Ende mit einem einheitlichen Toolset zu arbeiten.

 

Und immer wieder: Change Management

Daneben ist es auch fast immer so, dass Prozess-Erfassung einher geht mit Optimierung und Strukturierung der Arbeitsorganisation. Damit bekommt ein BPMN-Projekt nahezu automatisch immer auch eine Change-Management-Komponente. Überschätzen Sie die Bereitschaft zur Festlegung von Prozessen in Ihrer Organisation dabei nicht. Begründen Sie klar die Vorteile für die Mitarbeiter in Ihren jeweiligen Fachbereichen und begleiten Sie das Projekt intensiv.

Besonders wenn man von einer Situation mit eher lose strukturierten Prozessen kommt, neigt man nach der ersten Begeisterung für BPMN gerne dazu, ins andere Extrem zu fallen und Prozesse zu überstrukturieren. Übertreiben Sie es nicht – es bringt die Organisation nicht weiter, wenn Sie schöne Prozess-Diagramme haben, aber die Mitarbeiter in der täglichen Praxis nicht danach arbeiten. Im Zweifel gilt hier wie bei vielen Projektansätzen: Zunächst im Kleinen bei einfachen Beispielen beginnen und dann nach den ersten Erfahrungen langsam skalieren.

 

Was bringt Ihnen BPMN?

Klug eingesetzt, kann BPMN ein Werkzeug dafür sein, einem Unternehmen zu einer gemeinsamen Sprache und einem einheitlichen Verständnis der eigenen Prozesse zu verhelfen. Vor allem, wenn aufgrund von Organisations- oder Systemprojekten Workflows ohnehin dokumentiert oder optimiert werden müssen, finden Sie hier einen Standard, der mittlerweile sehr ausgereift ist und für den es genügend Software-Tools zur Arbeitsunterstützung gibt. Professionelle Prozess-Modellierung bietet wie kaum ein anderer Bereich so viel Potenzial dafür, Reibungsverluste im täglichen Arbeiten zu reduzieren und die Effizienz der Organisation zu steigern. Sind Sie jetzt neugierig geworden? Dann schauen Sie sich BPMN doch einmal näher an!

 

Sie wollen mehr wissen?

Dieser Artikel erscheint parallel zur Veröffentlichung hier bei digital publishing competence auch in der aktuellen Ausgabe von Steffen Meiers digital publishing report, auf den ich Sie ebenfalls gerne hinweisen möchte. Für einen tieferen Einstieg in BPMN kann ich Ihnen neben den hier im Artikel genannten Quellen insbesondere das „Praxishandbuch BPMN 2.0″ empfehlen (erschienen beim Hanser Verlag).

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