Angekommen in Digitalien: Der zweite Deutsche eBook-Award auf der #fbm15

IMG_1160Zum zweiten Mal wurde dieses Jahr auf der Frankfurter Buchmesse der Deutsche eBook-Award verliehen, und zum zweiten Mal hatte ich die Ehre und die Freude, als Teil der Jury die spannendsten eBook-Projekte des Jahres zu sichten und zu bewerten. Mit den Sieger-Projekten sind hochinteressante Beiträge zum digitalen Publizieren prämiert worden – und allen Preisträgern sei nochmals ganz herzlich gratuliert! Aber nachdem die Sektgläser geleert sind, möchte ich die Gelegenheit nutzen, die zentralen Erkenntnisse aus dieser Gesamtschau der eBook-Produktion des Jahres in folgenden persönlichen „Lessons learned“ zusammenzufassen:

Das anspruchsvolle eBook ist in Deutschland angekommen. Aber es ist noch jede Menge Luft nach oben.

Man kann es nicht nur aus der Menge der Projekte ersehen, die wir zu sehen bekommen haben, sondern auch an der öffentlichen Diskussion. Musste im letzten Jahr noch ein Friedrich Forssmann einmal kraftvoll gegen das eBook ranten und eine großartige Zoe Beck eloquent zurückranten, scheinen solche Diskussionen in 2015 passe. Für die großen Publikumsverlage, aber auch für viele Nischenverlage und Indie-Publisher ist eBook gelebte Realität – und es ist eine Wohltat, die Messetage nicht mehr mit Grundsatz-Diskussionen über Sinn und Unsinn von Digitalmedien verbringen zu müssen. Und wenn selbst die traditionell digitalkritische FAZ über den eBook-Award titelt, dass es „den eBooks gar nicht so schlecht geht“, sich Börsenblatt wie Buchreport wohlwollend über die Entwicklung äußern – dann merkt man, dass sich die Stimmung gegenüber der Zeit vor einem oder zwei Jahren doch deutlich geändert hat.

Andersherum merkt man gegenüber dem letzten Jahr (wo wir keine zeitlich Beschränkung nach vorne für die Einreichungen hatten), dass in einem Jahr Digitalbuch-Produktion in Deutschland halt doch gar nicht so viel passiert – die Zahl wie die durchschnittliche Qualität der Titel in 2015 war deutlich niedriger gegenüber dem letzten eBook-Award. Und vergleicht man das Spektrum mit ähnlichen Ansätzen im englischsprachigen Raum, wie etwa den diesjährigen Digital Book Awards, der jüngst erschienenen Gesamtschau des Guardian, oder wunderschönen Titeln der letzten Zeit wie etwa Daisy Chain oder Disney’s AR-Projekt – so muss man einfach feststellen, dass die deutschen Publisher hier noch einige Luft nach oben haben. Aber: Die diesjährigen Sieger machen Hoffung auf mehr!

Liebe zum Detail lohnt sich

Gerade in digitalen Produkten merkt man deutlich, wenn sowohl auf hohem handwerklichen Niveau als auch mit viel Liebe zum Detail gearbeitet wurde – oder eben nicht. Begeistert hat uns diese Jahr dazu besonders die „Oh, wie schön ist Panama“-App von Mixtvision: Vom der Grundidee und dem Produktdesign bis zur Usability auf technischer Ebene und den vielen kleinen Details, die eine tolle App ausmachen – hier wurde nichts dem Zufall überlassen und Gestaltung wie Umsetzung auf höchstem Niveau abgeliefert. Entstehen können solche Produkte nur mit jahrelanger Erfahrung bei der Entwicklung von Kindermedien in vielen verschiedenen Medienformen, kombiniert mit einem entsprechenden Anspruch an das Ergebnis.

Im Vergleich zu vielen anderen Umsetzungen war es hier auch hoch spannend zu sehen, wie sich dieses Produkt komplett von seiner Print-Vorlage emanzipiert hat: Angefangen von der Globus-Navigation bis zu jedem Szenen-Übergang im Storytelling und dem Verlauf der Geschichte auf einer unbegrenzten Bühne – hier ist wirklich ein genuines Digitalprodukt entstanden, das einen ganz eigenständigen Charakter und Charme hat.

„Oh, wie schön ist Panama“: Ein Kinderbuch-Klassiker, der sich in seiner Digitalversion komplett vom Print emanzipiert hat. (Quelle/Copyright: www.mixtvision-digital.de)

Weniger ist mehr: Fokussierung auf den Use Case

Eines fällt uns bei den eingereichten Titeln immer wieder auf: Natürlich bieten Produktformate wie eBooks, enhanced eBooks und Apps jede Menge Möglichkeiten zur multimedialen und interaktiven Gestaltung von Inhalten. Aber bei weitem nicht immer werden diese Möglichkeiten auch so genutzt, dass dadurch ein besseres Produkt entsteht und die Inhalte einen echten Mehrwert erhalten. An eBook-Umsetzungen wie dem letztes Jahr nominierten Musik-Buch, dem Rhetorik-Titel der Haufe Gruppe, dem dieses Jahr nominierten „Woyzeck“-eBook oder auch der „Klassiker“-App der Bayerischen Staatsbibliothek wird deutlich, dass es eben oft keinen Sinn macht, alles denkbare Multimedia-Feuerwerk abzubrennen.

In der Regel wird ein Produkt wesentlich überzeugender, wenn man sich den Anwendungsfall des Nutzers genau anschaut und exakt die Möglichkeiten zur Anreicherung einsetzt, die dafür wirklich nützlich sind. Effekthascherei als reines Marketing-Tool braucht an dieser Stelle niemand – und Kunden durchschauen dies auch in der Regel sehr schnell. Medieneinsatz sollte immer im Dienste der Inhalte erfolgen und nicht als Selbstzweck.

Die „Deutsche Klassiker“-App: Ein Beispiel dafür, wie digitalisierte Inhalte mit intelligent implementierten Zusatzfunktionen einen echten Mehrwert erhalten. (Quelle/Copyright: www.bsb-muenchen.de)

Das digitale Lesen differenziert sich aus – in jeder Hinsicht

Bewusst haben wir uns in diesem Jahr dafür entschieden, die Kategorien des Preises nicht mehr nach technischen Formaten, sondern nach inhaltlichen Genres aufzuteilen – und sind im Nachhinein sehr zufrieden mit dieser Entscheidung. Zum einen, weil wir denken, dass dies der Perspektive des Lesers entspricht – der sich in der Regel nicht fragt, welche Basistechnologie genau verwendet wurde. Aber auch, weil sich die technischen Implementierungen immer weiter entwickeln und neue Lösungswege hinzukommen – ich erwarte für die Zukunft hier, dass die Produktausprägungen eher noch mehr und vielfältigere werden. Für Literatur und Belletristik scheint Reflow EPUB im wesentlichen das Mittel der Wahl zu bleiben, im Kinderbuch-Bereich sind animierte Apps und Fixed Layout-eBooks mit Vorlesefunktion momentan der Quasi-Standard – und mit Werkzeugen von TigerCreate ist hier ein neues Tool auf dem Markt, das dieser Entwicklung hoffentlich zu Gute kommen wird.

Für Fachinformation und Experten-Anwendungen sind schon lange Online-Datenbanken, komplexe Web-Anwendungen und in den letzten Jahren zunehmend auch Mobile Apps offenbar die passende Umsetzung – und kommen in den Zielgruppen durchaus an. Sehr gefreut hat uns, dass wir mit dem „mBook“ erstmals auch eine „Books in browsers“-Umsetzung prämieren konnten: Auch in diesem Bereich differenziert sich die Technik aus und passt sich der Nutzungssituation an. Und eine Browser-Anwendung bietet im Schul-Umfeld schlicht aufgrund ihrer Plattform-Unabhängigkeit die besten Möglichkeiten zur Nutzung – zumal der Anwendung sogar ein Offline-Modus spendiert wurde.

Das mBook: Eine Browser-Anwendung, die beispielhaft zeigt, wie innovative technische Lösungen mit einem fundierten mediendidaktischen Ansatz kombiniert werden können. (Quelle/Copyright: institut-für-digitales-lernen.de)

Reflow EPUB – das ungeliebte Stiefkind der Verlage?

mobipocket

eBook-Gestaltung wie zu Zeiten der ersten Mobipocket-Reader? Das muss eigentlich 2015 nicht mehr sein…

Im Umfeld des Award sind wir aufgrund der Nominierungen immer wieder gefragt worden: Wo bleibt das Reflow EPUB? Sehr gerne hätten wir auch aus diesem Bereich Titel nominiert (wie letztes Jahr auch mit einigen sehr schönen Beispielen geschehen) – aber letztlich muss man diese Frage an die Verlage zurückgeben. Natürlich sind Reflow EPUB-Titel und ausgefeilte Native Apps schwer vergleichbar. Aber wir bewerten die Titel vor allem danach, wie gut die Möglichkeiten des jeweiligen Formates im Dienste der Inhalte eingesetzt wurden. Und gerade in diesem Punkt haben sich die meisten eingereichten Reflow EPUB-Titel in diesem Jahr als Stiefkinder der Produzenten erwiesen.

Erstaunlich war für uns, dass beim momentan einzig wirtschaftlich gewinnbringenden eBook-Format so unkreativ gearbeitet und die bestehenden, eigentlich bekannten Möglichkeiten so wenig ausgeschöpft wurden. Egal ob es um Layout und typografische Gestaltung geht, um die Nutzung der funktionalen Möglichkeiten von ePub 2.0 oder um handwerkliche Details wie TOC-Aufbau, Verlinkung, Fussnoten, Einbindung externer Ressourcen – fast alle Einsendungen machten den Eindruck von lieblos gemachten Zweitverwertungen.

Vor allem, wenn man auf den Umsatzanteil in den großen Verlagen schaut: Hier würde es sich lohnen, Ressourcen einzusetzen, wenn man das digitale Lesen voranbringen will. Denn im Reflow EPUB wäre es am einfachsten, mit wenig Mitteln viel für den Leser zu tun. Nachdem ich selber viel Zeit in Know-How-Vermittlung, Training und Fortbildungen im Bereich eBook-Gestaltung investiere, würde es mich auch persönlich freuen, hier in den nächsten Jahren mehr eBooks zu sehen, die mit Anspruch gestaltet wurden.

Mehr eBook wagen! Ein Plädoyer für Mut in der Produktentwicklung

Mit dem eBook hat eine neue Phase des Schreibens und Lesens im Digitalen begonnen. Besondere Freude macht es immer dann, diese Entwicklung zu beobachten, wenn Kreative diese Gelegenheit dazu benutzen, etablierte Formen zu verlassen und nicht nur Texte in ein neues Datenformat zu gießen, sondern das Erzählen und seine mediale Gestaltung an sich neu zu denken.

Von solchen Ansätzen würden wir uns mehr wünschen – „Nichts ist, wie es ist“, ist ein Beispiel dafür. Aus dem dem englischsprachigen Raum gehen Projekte wie „Besides myself“, „Book of Sarth“ oder auch die großartige App-Umsetzung von „In 80 Tagen um die Welt“ in diese Richtung – in Deutschland könnte aus dem „Dembelo“-Projekt von Tina Giesler spannendes entstehen. Denn wann wäre ein besserer Zeitpunkt, um neue Wege zu gehen, als jetzt?

„Nichts ist, wie es ist“ – ein Produkt, das vor allem deswegen gewonnen hat, weil es sich einen eigenständigen Weg in Gestaltung und neuen Denken eines klassischen Genres getraut hat. (Quelle/Copyright: www.cividale.de)

Wo die Reise hingeht

Man könnte noch viel darüber schreiben, wo noch große Baustellen im digitalen Publizieren sind und dass wir einfach bessere Werkzeuge brauchen. Aber für die Gratwanderung zwischen klassischem Medienverständnis und dem ambitionierten Digitalbuch geht es am Ende mehr um eine gute Idee für eine sinnvolle Verwendung der neuen Möglichkeiten. Eine Anregung dazu von eBook-Experte Baldur Bjarnason:

Instead of enhancing novels, what we should be looking at are titles and types of books that are a little bit awkward in print, the ones that are useful and loved because of their subject matter, but have never had a chance to bloom due to the limitations of the printed form. Those are the ones worth ‘enhancing’.

3 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Danke für diese Rückmeldung. Besonders gefallen hat mir der Satz: „Der Medieneinsatz sollte immer im Dienste der Inhalte erfolgen und nicht als Selbstzweck.“ Wann jedoch ein Medieneinsatz kein Selbstzweck ist, wäre durchaus zu diskutieren. Die Abwägung ist schwerer zu treffen, als der Artikel deutlich macht.

    Wir (im Verlag) produzieren nur Textbücher, seit 2013 ausschließlich digital, mit ePub 2.01, auch um keine gerätespezifische Eingrenzung vorzunehmen. Der Markt ist ohnehin (noch) sehr, sehr klein. Vielleicht wäre es mal relevant, verschiedene Beispiele vorzustellen, wie ePub von Verlagen eingesetzt wird?

  2. Pingback: Der Deutsche eBook-Award 2017: Im Wettstreit um die Zukunft des digitalen Publizierens | smart digits

  3. Pingback: Das mBook gewinnt den deutschen eBook Award 2015

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