Wege zum „enhanced print“

Seit Anfang letzten Jahres mit iBooks Author das erste professionelle Autorenwerkzeug dafür auf den Markt gekommen ist, sind enhanced eBooks in aller Munde. Kein Wunder, denn gerade die Möglichkeiten für die didaktische Vermittlung von Inhalten sind enorm. Aus vielen Diskussionen, Workshops und Seminaren der letzten Zeit zu digitalen Medien habe ich daneben aber auch die Frage mitgenommen, ob bestimmte Konzepte und Elemente von enhanced eBooks nicht auch in das Print-Portfolio zurück übersetzbar sind. Im Rahmen des Buchcamp 2013 am 04./05. Mai in Frankfurt habe ich zu diesem Thema eine Session gehalten, deren Inhalte und Diskussionsergebnisse ich hier auch der Allgemeinheit zur Verfügung stellen möchte.

Wie könnte enhanced print aussehen?

Ausgehend von meinen Erfahrungen in den Digitalmedien sind die zentralen Features von enhanced eBooks in der Regel:

  • Anspruchsvollere Layouts
  • Einbindung von Multimedia-Elementen
  • Dynamische und interaktive Komponenten
  • Öffnung des Produktes Richtung Web-Plattformen, Foren, Datenbanken etc.

Eine Übertragung solcher Gestaltungselemente Richtung Print-Portfolio kann ich mir sinnvoll auf folgenden Wegen vorstellen:

  • Verknüpfung/Verlinkung von Print-Produkten mit Webplattformen bis hin zu Produkten, die von der Online-Anbindung „leben“
  • Verwendung von Content, der aus Web-Aktionen und Events heraus entstanden ist oder im Rahmen von User generated content-Projekten erstellt wurde
  • Zusammenstellung dieser Zusatzmaterialien mit bestehendem Print-Content zu hochwertigen, anspruchsvoll gestalteten Sammler-Editionen

Gibt es im Portfolio Raum nach oben für Deluxe-Editionen?

Analog zu den „Collector’s Editions“, wie sie bei Musik-CDs, Film-DVDs oder im Gaming-Bereich inzwischen gang und gebe sind, gäbe es im Prinzip auch im Buchbereich die Möglichkeit, das Portfolio nach oben um ein weiteres Segment mit Preisen deutlich über dem Hardcover zu erweitern. Parallel zu der Entwicklung, am untereren Ende des Portfolio weitere Reihen mit kleinstformatigen Taschenbüchern zu entwickeln, erfolgreich realisiert etwa durch die dtv Premium-Reihe, oder auch von den Fischer Verlagen, hätte ggf. ein hochpreisiger Produkttyp mit attraktiven Zusatzinhalten eine Chance im Markt.

Natürlich müssten aus meiner Sicht dafür die Features des Produktes einen höheren Preis rechtfertigen, etwa durch Integration von eBook- und/oder Hörbuch-Ausgabe, und dazu die Gestaltung hochwertigen Charakter besitzen und exklusive Zusatzinhalte beinhalten. Aber zumindest bei Titeln, die ohnehin bereits hohe Verkaufszahlen oder sichere Auflagen haben, könnte ein solcher Produkttyp mehrere Funktionen erfüllen: Kundenbindung für Liebhaber, Marketing-Effekte und Zusatzerlöse.

Der Gaming-Bereich macht es vor: Mit limitierten Editionen lassen sich problemlos Preise deutlich über 100€ erzielen, vom Sammlerwert und den Preisen bei ebay nach einigen Jahren ganz zu schweigen.

Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen Print und Digitalmedien

Existiert bereits digitaler Content oder zusätzliche Medien auf Online-Plattformen, bietet es sich an, diesen als Zusatzmaterial zum Print-Produkt zu veröffentlichen. Die Herausforderung dabei ist die Verknüpfung ohne allzu großen Medienbruch, denn erfahrungsgemäß will der Leser nichts weniger als URLs abtippen zu müssen – obwohl die schlichte Angabe von Links zu korrespondierenden Online-Plattformen natürlich technisch gesehen reichen würde.

Ein komfortableres Modell wäre der Abdruck von QR-Codes im Print-Produkt, parallel dazu kann im eBook eine direkte Verlinkung auf URLs erfolgen. Viele Sach- und Fachbuch-Verlage verwenden solche Modelle bereits in Titeln mit korrespondierenden Web-Plattformen, etwa die Haufe-Gruppe mit ihren Online-Angeboten zu Rechtsratgebern, über die dem Print-Produkt Arbeitshilfen, Tools und Office-Dokumente zu den Inhalten mitgegeben werden.

Noch schöner ist es natürlich, wenn Online-Inhalte direkt „auf dem Print-Produkt“ erscheinen können. Der Weg dazu heißt Augmented Reality: Bei dieser Technologie wird das Bild eines Objektes aus der realen Welt über entsprechende Autorenwerkzeuge mit Online-Inhalten verknüpft, etwa Videos, 3D-Darstellungen oder dynamischen Komponenten. Das Besondere: Da die Kamera eines Smartphones sowohl für Objekterkennung als auch für die Anzeige der Inhalte verwendet wird, erfolgt die Verknüpfung für den Leser besonders komfortabel. Und es besteht die Möglichkeit, das Print-Produkt mit dem Online-Content zu überblenden. Die Münchener Firma metaio bietet dazu Werkzeuge und Plattformen an, mit denen sich solche Modelle auch mit wenig Ressourcen-Einsatz realisieren lassen. Ein Beispiel aus dem Stern für eine Augmented Reality-Umsetzung:

Magazin-Special zu 9/11: Überblendung einer Zeitschriften-Seite mit einer 3D-Visualisierung durch den Junaio-AR-Browser

User Generated Content

Den Leser nicht nur mit Marketing und Werbung anzusprechen, sondern auch zu beteiligten und zur Produktion eigener Inhalte anzuregen, ist sicherlich die Königsdisziplin im modernen Content Marketing. Insbesondere Bands und Musiker haben hier in den letzten Jahren viele schöne Modelle realisiert – auch weil sich die Medien-Rezeption hier besonders für Projekte dieser Art anbietet.

Ein besonders erfolgreiches Projekt dazu hat in den letzten Jahren Neal Stephenson mit seinem Roman „The Mongoliad“ realisiert. Der Grundgedanke bei diesem Cowriting-basierten, historischen Online-Roman war zunächst, die übliche Publikationsreihenfolge umzudrehen: Die Geschichte entstand über mehr als zwei Jahre kapitelweise, der Zugriff für den Leser erfolgte über eine reine Online-Plattform mit einem Angebot im Subskriptionsmodell. Nach Fertigstellung des Romans wurden zunächst mehrere eBooks aus dem Content zusammengestellt und über Amazon vertrieben, erst dann erfolgte die Konzeption der Paperback-Version.

Der user generated content-Aspekt kam hier an zwei Stellen zum Tragen: Zum einen entstand durch die Mitarbeit der Leser-Community parallel zu den narrativen Inhalten ein umfangreiches Online-Wiki zu den historischen Hintergründen der Geschichte. Zum anderen fanden sich im Laufe der Zeit so viele interessierte Leser, die am Handlungsverlauf mitschreiben wollten, dass neben der Haupt-Geschichte mittlerweile fünf weitere eBook-Publikationen mit Prequels, Sequels und Side-Stories auf den Markt gekommen sind.

Die Online-Plattform zu Neal Stephensons „The Mongoliad“

Mit den Möglichkeiten der Print-Umsetzung jonglieren

Denkt man „Print“ einmal über den konventionellen Hardcover/Softcover-Rahmen hinaus und betrachtet die Produkte kreativer, junger Buchdesigner, wird schnell klar, dass hier noch viel Raum für Bücher ist, die gerade die Kernzielgruppen der Verlage ansprechen können, die Buchliebhaber und Enthusiasten. Ein schönes Beispiel dafür ist die Londoner „Bücherschmiede“ Visual Editions: Angefangen von der graphischen Gestaltung über die diversen buchbinderischen Varianten und dazu liebevoll designten digitalen Medien – das hier gezeigte Produktportfolio zeigt deutlich, was alles denkbar ist, wenn man Print auch im 21. Jahrhundert noch als ernstzunehmende Design-Aufgabe ansieht:

composition no.1

Composition No.1 – eines der schönsten Produkte aus dem Hause Visual Editions

Ein weitere, reizvolle Idee für Buchliebhaber, die mich dieses Jahr begeistert hat, sind die von Spineless Classics entwickelten „Buchposter“: Dabei werden ganze Romane in Kleinst-Druck auf grossformatige Poster gedruckt, deren Layout dazu eine visuelle Anspielung auf die Geschichte enthält. Als Produktmodell ist dies zugegeben maximal ein Zusatzerlös – als Kundenbindungs-Maßnahme aber fantastisch, und dazu ein ideales Werkzeug zum medienwirksamen Content Marketing.

Moby Dick in der Umsetzung von Spineless Classics

Wer in diesem Bereich nach Inspirationen für kreative Print-Umsetzungen sucht, findet bei Ebook Friendly weitere schöne Beispiele und Produktideen.

Eine schönes Modell für einen Klassiker: Fahrenheit 451

Zeitlich parallel, aber in keinem inhaltlichen Zusammenhang bin ich dieses Jahr auf zwei bemerkenswerte Umsetzungen des SF-Klassikers „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury gestoßen. Zum einen eine Konzept-Studie einer amerikanischen Buch-Designerin, die ein wunderschönes Modell für eine passende Produktumsetzung des Themas entworfen hat:

Fahrenheit 451: Konzept-Studie von Elizabeth Perez

In Kanada dagegen wurde im Rahmen einer Bibliotheks-Marketing-Aktion rund um das Buch ein Alternate Reality Game erstellt, das den Nutzer auf satirische Weise aufforderte, sich einer „literarischen Resistance“ anzuschließen. Die dann vergebenen „Missionen“ führten rund um Buch-Themen durch die Stadt und schließlich in die Bibliothek:

Umsetzung von Fahrenheit 451 als Alternate Reality Game

Stellt man sich nun noch vor, die zwei Modelle würden verknüpft, und im Rahmen der spielerischen Umsetzung entstünde Content in Form von Bildern, Texten oder Videos, könnte eine Print-Umsetzung wie oben um einen weiteren Band ergänzt werden, der Produkt wie Geschichte um eine weitere Ebene erweitert.

Diskussionsergebnisse

Neben vielen staunenden Gesichtern über die vielfältigen Möglichkeiten für neue Produkte waren in der Diskussion über enhanced print natürlich kritische Stimmen zu hören. Auf der einen Seite war die Frage, ob Buch-Leser gegenüber Nutzer-Communities wie z.B. aus dem Musik-Bereich soweit aktivierbar sind, dass auf dieser Basis sinnvolle „user generated content“-Projekte realisierbar sind. Eine durchaus berechtigte Frage, denn nichts ist peinlicher als eine Mitmach-Aktion, bei der niemand mitmacht. Im Rahmen einer Diskussion wird sich diese Frage natürlich nicht definitiv klären lassen – aus meiner Sicht würde es mich nur nach den vielen erfolgreichen Modellen für User generated content sehr wundern, wenn sich nicht auch Leser-Communities aktivieren liessen – das richtige Thema und eine geeignete Ansprache natürlich vorausgesetzt.

Auf der anderen Seite wurden Bedenken geäußert, ob Produktformen wie Deluxe-Ausgaben mit hochwertiger Ausstattung und kleinen Auflagen überhaupt kostendeckend, geschweige denn gewinnbringend kalkuliert werden können. Dieser Punkt kann natürlich ein klares KO-Kriterium für jedes Projekt dieser Art sein, denn dass solche Produkte nicht zum Nulltarif zu haben sind, ist klar. Auch dürften sich diese Produktform sicher nur rechnen, wenn das Basisprodukt bereits eine so hohe Auflage besitzt, dass eine Premium-Variante genug Abnehmer finden kann. Risiko-Minimierung könnte hier beispielsweise durch ein Subskriptionsmodell in der Vermarktung erfolgen, auf der Kostenseite dagegen können die eingesetzten Ressourcen etwa dadurch reduziert werden, dass ohnehin in anderem Rahmen entstehender Content zweitverwertet wird.

Trotz dieser berechtigen Bedenken möchte ich aber allen Teilnehmern und Lesern eines auf den Weg geben: Auch wenn sich jedes neue Produktmodell am Ende rechnen muss, würde ich die Schere im Kopf nicht zu früh ansetzen. Andere Medien und Branchen geben so viele Anregungen für Produkte, die dort Kunden und Käufer begeistert haben, dass ich zunächst immer zu mehr Kreativität und zu weniger Bedenken raten würde – zumindest bei der Ideen-Entwicklung. Und was Kunden begeistert – das findet auch Käufer. Dennoch würde ich mich natürlich über jedes Feedback zu den Ideen und Konzepten freuen – sowie auch und gerade über die kritische Auseinandersetzung!

Daneben möchte ich mich herzlich beim Buchcamp-Team für die klasse Organisation und die gelungene Veranstaltung bedanken. Die Buchcamp-Dokumentation 2013 findet sich auf den Seiten des Forum Zukunft im Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Die Slides zur Session finden sich hier auf Slideshare:

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